Welcome to scripophily!

Bärentatzen & Bullenhufe (2008)






Burnie Madoff's soul mate, and two quite other guys
(08/12/25)

Bernard Cornfeld wurde zwar vor Gericht freigesprochen: Anscheinend haben seine eigenen Manager ohne Wissen oder Zutun seinerseits die Zig- und Abermillionen verbrannt — durchaus nachvollziehbar, schliesslich musste Bernie ja ständig an Partys den BigBoss markieren und nebenbei auch noch einen nicht ganz anspruchslosen Fuhr- und Damenpark (u.a. Heidi Fleiss … … klingeling?), eine handliche Flotte Privat-Jets sowie eine weitere Handvoll Liegenschaften in Schuss halten. Gleichwohl steht sein Name für einen der grössten Finanzschwindel der letzten Jahrzehnte (und den bis dahin grössten Finanzskandal in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs; Benedikt Fehr in der FAZ). Anders als Burnie II., der mit seinem Madoff-Familienbetrieb direkt die grossen Töpfe anzapfte, sagenhafte 50'000'000'000 (oder umgerechnet 1 KP, also 1'000 Peanuts) in Asche verwandelte und damit jeden Vorgänger entthronte, machte der weltgewandte Verkäufer mit Genfer Wohnsitz vor rund 40 Jahren trendig auf «Volkskapitalismus», sein «Finanzkonzern» beschäftigte im Vertrieb mehrere Zehntausende «Vertreter» und beglückte hauptsächlich Kleinanleger mit heissen Investitionen.

«I.O.S. Ltd stock certificate»
Investors Overseas Services, 1970, Zertifikat über 100 Stammaktien,
Facsimile von Edward J. Coughlin Jr. und Bernard Cornfeld
(big)

Das Insolvenzverfahren der 1973 Pleite gegangenen Investors Overseas Services (I.O.S. Ltd.) ist noch immer nicht abgeschlossen. Trotz der Prozesse, vieler Experten und eines riesigen Aufwandes konnte bis heute das «Geschäftsmodell» nicht restlos geklärt oder gar verstanden werden (interessant: der «Clarkson-Bericht» von 1985). All diese Dinger wurden wohl im bewährten Schneeball-System gedreht, aber gut versteckt in einer komplexen, undurchschaubaren Struktur von Dutzenden Tochtergesellschaften, Banken, Versicherungen, Anlagefonds und Immobilienfirmen, natürlich angesiedelt in verschiedensten Steuerparadiesen, und selbst viele Geldgeber und ihre mehr verlorenen oder weniger reingewaschenen offshore investments bleiben verschleiert.

«Bernard Cornfeld signature»
Burnie der Erste: Bernard «Bernie» Cornfeld, Präsident der I.O.S. Ltd.

Wie sagte letzthin Bernie Madoff? «The Owner's Name is on the Door» — yep, zumindest kann man so den allfälligen Brandstifter gleich benennen, aber man täuscht sich auch andersrum. Der kleine orthographische Unterschied macht es wohl aus: James Robb war kein Räuber, sondern einer der geachtetsten Banker, Finanzierer und Unternehmer seiner Zeit; sogar ein Mississippi-Dampfer wurde nach ihm benannt. Geboren am 2. April 1814 in Brownsville/PA, verlor James mit Fünf seinen Vater, und als Dreizehnjähriger beschloss er mitten im Winter, auf Wanderschaft zu gehen. Nach 22 durch den Schnee gestapften Meilen erreichte er Wheeling und fand einen Job als Botenjunge der Merchants' and Mechanics' Bank. Seiner Mutter schrieb er: «It may be that I may get seventy-two or a hundred dollars a year, If I be a good boy And I hope it may be so.»; eine typisch amerikanische Karriere begann. Neugierig und hartnäckig, lernte er rasch und eignete sich breites Wissen an, hauptsächlich in der klassischen Vermögensverwaltung, im Wertpapierhandel und am Risikokapitalmarkt; er wurde Banker im umfassendsten Sinn. 1837 zog der dreiundzwanzigjährige Robb nach New Orleans und gründete sein eigenes bescheidenes Geschäft mit unüblichen Währungen und (als Folge der Krise von 1837) nicht mehr handelbaren regionalen Banknoten.

«James Robb & Comp., Bankers, Sekundawechsel»
«James Robb & Comp., Bankers», New Orleans/LA 1857, Sekundawechsel
über USD 68, handsigniert von James Robb im Namen seiner Bank
(big)

Der tatendurstige Banker weitete sein Geschäft aus und kontrollierte ab 1842 die New Orleans Gas Light Co. Drei Jahre später besass er nebst dem Hauptsitz in New Orleans sieben weitere Firmen (darunter fünf Banken in New York, Philadelphia, San Francisco, St. Louis und im britischen Liverpool) und baute die Louisiana National Bank auf. Im Zuge seiner Reisen nach Kuba gründete er die Spanish Gas Light Co. mit einer eher unüblichen Geschäftspartnerin: Maria Christina, die spanische Queen Mom. James Robb war vielfältig und eigensinnig: Er präsidierte 1851 die U.S. Railroad Convention, war im Verwaltungsrat der University of Louisiana und wurde sogar Mitglied im bundesstaatlichen Senat, lehnte aber Präsident Lincolns Angebot für ein politisches Mandat und sogar den Posten des Schatzsekretärs unter Andrew Jackson ab. Andererseits baute er die erste Eisenbahn von New Orleans in den Norden nach Memphis, sanierte die marode Chicago, Alton and St. Louis Railway und diente dann als Präsident der Atlantic and Great Western Railway; allerdings verabschiedete er sich drei Monate später ganz aus dem Eisenbahngeschäft, weil ihn die herrschenden Geschäftsmethoden nun vollends anwiderten.

«The New Orleans & Great Northern Rail Road Polka»
Theodore Felix von La Hache komponierte 1854 zu Robbs Ehren
die «New Orleans & Great Northern Rail Road Polka»
(courtesy of New Orleans Public Library)

Zwar erlebte auch Robb seine Finanzkrise, als er 1857 mit rund drei Millionen in der Kreide stand und die Schalter in New York, San Francisco und Liverpool schliessen musste, doch brachte er es sauber fertig, die gesamte Schuld samt Zins und Zinseszins zurückzuzahlen. 1871 zog er sich aus dem Geschäftsleben zurück, mischte sich aber weiterhin freidenkend lautstark in die Politik ein und schrieb markig über politische Ökonomie. Er baute mit Sachverstand und Geschmack — «There was nothing modest about Robb's taste in art» — seine Kunstsammlung weiter aus («a perfect museum», wie die NYT am 2. August 1881 schrieb) und war massgeblich am Aufbau der National Gallery of Paintings in N.O. beteiligt. James Robb starb am 30. Juli 1881 in Hampden Place bei Cincinnati/OH; der Typ war kein leichter Genosse, sondern selbstbestimmt (und als Freund von Jefferson Davis unangenehmer Vertreter seiner Zeit), ein harter sparring partner, tatkräftiger Lobbyist und ernstzunehmender Geschäftsmann, aber wahrlich integer, im Wesen freundlich gesinnt und zudem ein Gentleman — selbst wenn der Name etwas anderes vortäuschen konnte. Man nahm ihn ernst, weil er sich nicht im Nebel davonstahl.

Die Amerikaner machen aus vielen Nöten immer wieder Tugenden, wenn auch zuweilen auf kuriose Art. 1909 gründete Merkel Landis, Finanzleiter der Carlisle Trust Company (PA) den «Christmas Savings Fund» mit der Idee, auf Weihnachten hin Einlagen zu äufnen; 350 Kunden machten mit und sparten durchschnittlich USD 28. In der Grossen Depression wurde diese Idee landesweit aufgenommen und mit sehr strikten Regeln umgesetzt: Einzahlungen waren unbedingt wöchentlich oder monatlich sowie in kleinen, tragbaren Beträgen zu tätigen, übers Jahr wurden keine Auszahlungen vorgenommen (bzw. nur gegen sehr hohe Gebühren), der Zins war gering oder gar Null, aber dafür gabs das ganze Kapital aufs Mal: fürs X-mas Shopping. Die Christmas Clubs waren bis in die 1990er sehr beliebt, weil die Leute zwangsweise aufs die Geschenk-Saison hin sparten. Dann kamen die Kreditkarten gross in Mode …

«Christmas Club check»
«Christmas Club» der Commercial Trust Co. of New Jersey,
Jersey City/NJ 1966, Scheck über USD 500

Vielleicht sollten wir doch eher wieder an den Weihnachtsmann glauben? Sein Zyklus ist ziemlich verlässlich und mag Spekulanten a bit langweilig erscheinen, doch steht er mit seinem Namen fürs Unternehmen und beherrscht Dank Rudolph die Volatilität wie kein Zweiter; bilanziert wird zwar nicht quartalsweise, aber Ende Jahr ist alles Glanzpapier abgerissen; das Geschäftsmodell ist transparent, die P/E-Ratio meistens Ok — und der Nikolaus geniesst das uneingeschränkte Vertrauen der Kunden: Sein «Customer Satisfaction Index» ist seit eh und je stabil auf einem beneidenswert hohen Niveau.

In diesem Sinne: Happy Holiday und einen glücklichen Rutsch in ein helles Neues Jahr — oder etwas weniger antiquiert: cross tha fingrz, yo!

PS: Stephen Greenspan (emeritierter Professor für pädagogische Psychologie an der University of Connecticut und Autor von «Annals of Gullibility») schrieb den sehr persönlichen Essay «Fooled by Ponzi (and Madoff)» — er fiel nämlich selbst drauf rein —, dann Harry Markopolos' interessante Eingabe an die SEC vom 7. November 2005 sowie Burnie II., the ugly mad robber himself in der Diskussion «The Future of the Stock Market» (ungekürzt beim Veranstalter Philoctetes).

PPS/Aug09: Zufälligerweise fand ich vorhin einen kurzen Artikel zu Burnie I., erschienen in HP Magazin für Historische Papiere, Nr. 8/September 1981, Rubrik + telex + (btw: m.W. kam der Film nie zustande).

PPPS/Dec09: Der Gangster Burnie II wird lange in Erinnerung bleiben, auch als armselige Comic-Figur …

«BUNCOMAN Episode 1 — Madoff & Clawback»
BuncoMan, der zeitgenössische Krieger kämpft gegen Madoff, clawback und
Vertreter der Regierung (big); by Ramben Associates LLC (courtesy of Jim)

Quellen:
• S. Frederick Starr/Robert S. Brantley/Jan White Brantley, Southern Comfort: The Garden District of New Orleans, Princeton Architectural Press, 2005
• im Text verlinkte pages und eigene Unterlagen

Top




Happy Birthday! — dem ersten schweizerischen Cocktail zum Siebzigsten
(08/12/02)

Der beliebte Früchtekorb, die umsatzstarken Allzweckreiniger und auch Mars' sweet «Celebrations» sind einander sehr ähnlich: Sie mischen gescheit individuelle Geschmacksrichtungen und allgemeine Erwartungen, damit kaum jemand enttäuscht wird und somit fast alle einen Erlös daraus erzielen; es sind gewinnträchtig zusammengesetzte «mainstream»-Produkte.

Diversifikation (oder Neudeutsch: «asset allocation») ist ein Grundpfeiler der geschickten, langfristigen Anlagestrategie: Man setzt nicht auf ein einziges Pferd und wettet alles aufs Mal, sondern verteilt das Vermögen auf mehrere Klassen und unterschiedliche Instrumente, Währungen, Branchen, Ausgeber, Perioden usw. Zwar verwässert das Potpourri den allfälligen einzelnen Supermega-Treffer, dafür wird das Verlustrisiko des Portfolio unter dem Strich gemindert — und damit eine optimale Rendite ohne schlaflose Nächte wahrscheinlicher. Ein solch ausgewogenes Körbchen kann man selber zusammenstellen und verwalten, oder man überlässt die Arbeit den Profis und kauft Anteile eines «fonds» oder «fund».

«America-Canada Trust Fund (AMCA)»
America-Canada Trust Fund, 1939, Zertifikat über fünf Anteile;
für
INTRAG zeichneten Fritz Richner (1953–64 SBG VR-Präsident)
und Ernst G. Renk als Delegierter des INTRAG Verwaltungsrates,
für die SBG als
Treuhänderin deren Direktionspräsident Paul Jaberg
(1941–53 VR-Präsident der SBG) sowie Direktor Fritz Zehnder

Der erste offene Fonds der Schweiz kam vor fast tupfgenau siebzig Jahren auf den Markt; das abgebildete Wertpapier dokumentiert die Pionierleistung der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS). Sie gründete am 12. Dezember 1938 die INTRAG AG zur Verwaltung der bankeigenen Investment Trusts mit Sitz im «Münzhof» an der Zürcher Bahnhofstrasse 45, die INTRAG ihrerseits lancierte unmittelbar danach den «America-Canada Trust Fund» (AMCA) mit einem Korb aus amerikanischen und kanadischen Stamm- und Vorzugsaktien.

Quellen:
«Geschichte von UBS» (historisches Online-Archiv)
• eigene Unterlagen

Top




Big Blue
(08/11/04-05)

Eine geschichtsträchtige Nacht … Die Caboose eines langen, ungemein spannenden Voting Trails fährt so oder so über eine Weiche; egal, wer gewinnt — es kann nur besser werden. Der unangenehme Querschläger vertraut erfahren eher ängstlich klassischen Werten und will (nicht ganz zu Unrecht) einen sanften Aufbruch. Der abseits Andere ist geprägt, entschieden und will (mit allen Risiken) die Zukunft bauen. Egal, wer gewinnt: Es ist anyway ein Blue Chip und verspricht Erfolg.

«American Express Co.»
American Express Company, 1855, Zertifikat über vier Stammaktien,
unterschrieben von William G. Fargo, Henry Wells und Alex Holland
(big)

Falls wirklich das typisch Amerikanische, die risikobereite Zuversicht, die Lust zu Bauen gewinnt, jauchzt «America». Die rostige Lokomotive wird zwar lange Monate nur Bulk ziehen, doch dann voller Pioniergeist den Expresszug in eine helle Zukunft führen.

«Irwing Wallace The Man»
Irving Wallaces «The Man» erschien 1964,
ein Jahr nach der Ermordung John F. Kennedys
und Martin Luther Kings «I Have a Dream»

PS: What a great night, what a bright day!

Quellen:
• eigene Unterlagen

Top




Juristenfutter
(08/11/03)

Im November 2000 gingen die amerikanischen Präsidentschaftswahlen nur sehr knapp und erst nach wochenlangen gerichtlichen Querelen zugunsten George W. Bush aus. Zwar erhielt Al Gore fast 550'000 Stimmen mehr als Bush, aber letzterer konnte 271 Electors (Wahlmänner) hinter sich scharen, entscheidende fünf mehr als Gore. Zum Juristenfutter wurden die 25 «electoral votes» im Bundesstaat Florida und damit allgemein die «voting machines», die seitdem legendären Wahlmaschinen.

«Automatic Voting Machine Corp.»
Automatic Voting Machine Corp., um 1940, Stammaktien-Zertifikat, Specimen

Die amerikanische Gesellschaft mit ihren kulturell unterschiedlichsten Erfahrungen misstraute den einfachen papiernen Wahlzetteln. Gefragt war ein sicheres System, das technisch Manipulationen vorbeugen konnte und automatisiert das Auszählen beschleunigte. Jacob H. Myers aus Rochester/NY erfand den ersten brauchbaren Wahlautomaten, und die «Myers Automatic Booth lever voting machine» kam 1892 in Lockport/NY zum Einsatz. 1895 siedelte Myers um und gründete in Jamestown/NY die «Automatic Voting Machine Corporation». Ein Jahr später überzeugten seine Geräte die Stadt und wurden kurz darauf im ganzen Bundesstaat eingeführt.

«Automatic Voting Machine Corp. ad»
Automatic Voting Machine Corp., 1944, Anzeige (big)

Um 1930 waren solche Maschinen Standard in jeder grösseren Stadt. Jamestown war die Kapitale der Wahlmaschinen-Hersteller und zählte 1938 sechs grosse Unternehmen, 1952 ist Myers gem. Federal Trade Commission grösster Hersteller von Wahlmaschinen in den USA, und 1960 wählte mehr als die Hälfte der US-Bürger ihren Präsidenten mittels Myers-Automaten.

«Diebold Venture Capital Corp.»
Diebold Venture Capital Corp., 1971, Zertifikat über 100 Stammaktien des
geschlossenen Risikokapital-Fonds der Diebold, Inc.; gegründet 1968, wurde
der Fond 1976 vom Investor Erik Bergstrom nach Verlusten von mehr als 55%
übernommen, in Bergstrom Capital umbenannt, von Dresdner RCM Global
Investors (dann Allianz GI) weitergeführt und 2003 liquidiert
(big)

Diebold Inc., von Charles Diebold 1859 in Cincinnati/OH gegründet und 1876 als «Diebold Safe & Lock Company» in Canton/OH eingetragen, begann als Hersteller von Tresoren und Kassenschränken, dazu kamen später Ablage- und Rohrpost-Systeme sowie in den 1970ern die ATMs (Automated Teller Machines, Bankomaten). 2002 übernahm Diebold die auf dem Gebiet der Touch Screen-Wahlmaschinen führende «Global Election Systems» und machte daraus die Tochter «Diebold Election Systems, Inc.» (DESI). 2007, als Folge verschiedener Kontroversen, firmierte die Tochter um zur «Premier Election Solutions». Übrigens: Eliot Ness, der legendäre Gangsterjäger («Die Unbestechlichen») war von 1943 bis 1947 Vorsitzender der Diebold.

«American Voting Machine 1913»
American Voting Machine Co., 1913, Zertifikat über 26 Stammaktien

American Voting Machine Co. (gegründet 1909 und ein paar Jahre später zur Corporation umbenannt) war zwar nie die Nummer 1, und es ist praktisch nichts über sie bekannt — dennoch, die Firma schenkte uns zwei wunderhübsche Papiere, und deshalb gebührt ihr hier ein Ehrenplatz.

«American Voting Machine 1924»
American Voting Machine Corp., 1924, Zertifikat über drei Vorzugsaktien
(courtesy of Scripophily.com)

Quellen:
• Douglas W. Jones, A Brief Illustrated History of Voting, The University of Iowa, Department of Computer Science, 2001/03
Fenton History Center, Jamestown/NY
• im Text verlinkte pages und eigene Unterlagen

Top




101 Jahre Sicherheit — die SECURITAS
(08/05/12)

Auf Initiative des Zürcher Banquiers Gyr-Guyer erfolgte 1905 in Olten die Gründung der «Securitas AG Schweiz. Bewachungsgesellschaft» mit CHF 100'000 Aktienkapital und Sitz in Zürich. «Wir möchten nicht behaupten, dass die Urgründung eine glückliche war.», liest man im Jubiläumstext von 1928, denn bereits nach zwei Jahren stand das Unternehmen vor der Pleite. Der Berner Oberst und Fürsprech Jakob Spreng rettete, was noch zu retten war, und gründete mit Freunden die neue Firma «Securitas AG Schweizerische Bewachungs-Gesellschaft» in Bern.

«Securitas Sitz Bern»
Der erste Sitz der Generaldirektion am Bubenbergplatz, Ecke Hirschen-
graben in Bern (Firmensitz ist immer noch Bern, die GD ist nun in Zollikofen)

Das Gründungskapital betrug am 22. Mai 1907 CHF 100'000, eingeteilt in 200 Namenaktien zu je CHF 500. Am 26. April 1916 erhöhte man das AK um CHF 75'000 auf CHF 175'000 und wandelte die Namen- in 350 Inhaberpapiere zu CHF 500 um. Die nächste Kapitalerhöhung folgte am 25. März 1920 mittels 150 Inhaberaktien zu CHF 500 auf ein AK von neu CHF 250'000.

«Securitas 1907»
Securitas AG, Bern 1920, Aktie zu CHF 500

Lt. Aussagen der Securitas Generaldirektion von 1985 ist aus der Emission von 1920 nur dieses eine Exemplar erhalten geblieben. Signiert ist das Unikat links von Oberst Hermann Ludwig, Kaufmann in Bern, als Präsident, und rechts von Oberst Adolf Jost, von Interlaken, Polizeikommandant in Bern, als Vizepräsident des Verwaltungsrates; weitere VR-Mitglieder waren u.a. der Zürcher Spediteur A. Welti-Furrer und der Luzerner Drucker C.J. Bucher.

«Securitas 1907»
das berühmte Auge in der Version von 1907

«Securitas» ist schweizweit ein top brand — es dürfte kaum jemanden geben, der nie den Frauen und Männern in blauer Uniform begegnet ist —, und das stilisierte Auge ist seit eh und je einprägsames Erkennungszeichen der Firma:

Das Auge der „Securitas“

Wo ist das Aug' zu finden,
Das niemals tränennass?
Ich will es froh verkünden:
Bei der «Securitas»!

Es schützt der Guten Schlummer,
Die Bösen werden blass,
Ein Wächter ist's, ein stummer,
Von der «Securitas».

An Gärten, Häusern, Türen
Erglänzt's ohn' Unterlass,
Man soll es sehn und spüren:
Hier wacht «Securitas»!

Es lässt sich nicht bestechen
Und lacht auch nicht zum Spass,
Stets scheint es ernst zu sprechen:
Dich sieht «Securitas».

Vor mancherlei Gefahren,
Vor Feuer, Raub und Hass,
Will dich das Aug' bewahren
Der Frau «Securitas».

Mög' dieses Auges Segen
Fortblühn in reichem Mass,
Dann ruft man allerwegen:
Glückauf, «Securitas»!


(H.L., in der Denkschrift von 1928)

Quellen:
• Protokollauszüge 1907–1954
• «SECURITAS — Denkschrift über unser Wirken in den Jahren 1907–1927», Bern 1928
• Denkschrift «75 Jahre Securitas 1907–1982», hrsg. zum Firmenjubiläum von der Securitas AG, Bern 1982
Eine Erfolgsgeschichte (online history der Securitas AG)
• wikipedia.de-Eintrag zur Securitas AG
• eigene Unterlagen

Top




Deckungsanteil
(08/07/21)

Finanzierung ist schlussendlich vertrauende, zukunftsgerichtete Risikobeteiligung an einem Unternehmen; der Teilhaber will seine «Forderung» gedeckt wissen und den Einsatz selbstverständlich vermehren. Das unterstützte Objekt ist häufig zweitrangig — also kann es auch ein Pferd sein.

«german stallion stock»
Crouch's «imported German Coach Stallion», Irvington/IL 1902,
Zertifikat über eine halbe Aktie zu USD 200 (big)

Verbucht war mit diesem Schein der Deckhengst Nr. 1659 mit Namen «Aar» (altdeutsch für «Adler») zum Preis von damaligen USD 2'200, was umgerechnet und kaufkraftbereinigt heutigen grob CHF 120'000 entspricht; wahrlich kein 08/15-Ackergaul … Der Titel trägt links die Unterschrift des Agenten J.W. McClane, rechts die handschriftliche Firmensignatur «J. Crouch Son».

«Hake's button»
LaFayette Stock Farm, ca. 1905-07, button, ø 4.5 cm
(courtesy of Hake's Americana & Collectibles)

Ausgegeben ist die Aktie in Irvington, einem Dorf mit wenigen Hundert Einwohnern in Washington Cy/IL, knapp 60 Meilen östlich von St. Louis/MO. Dort fand 1904 die Louisiana Purchase Exposition statt, besser bekannt als St. Louis World's Fair. Crouch war mit über 100 Pferden vertreten und holte in den German Coach Classes fast alle Preise. «Hannibal», der Grand Champion Stallion, wurde als «perfect» beschrieben und auf Hunderten von Fotos verewigt. Auch an den Belgian Horse Shows trumpfte Crouch und gewann mit «Trappiste» und «Cognac d'Alvaux» zwei von fünf Zuchthengst-Preisen.

«LaFayette Stock Farm postcard ca.1910»
LaFayette Stock Farm, LaFayette/IN, ca. 1910

J.R. Crouch und seinem Sohn George gehörte die 1886 gegründete «LaFayette Stock Farm»: Sie war die Nummer 1 besonders bei den sog. «German coachers», Schwere Warmblüter der Ostfriesen/Alt-Oldenburger-Rasse, stattlich-starke und gleichwohl elegante Pferde, bestens geeignet grosse Kutschen, Wagen und Feuerwehrpumpen zu ziehen.

«german stallion stock»
eine Stereographie der Keystone View Co., ca. 1900, Ausschnitt (big)

Zwei Beispiele zeigen J. Crouch & Son's Gewicht: An der World's Columbian Exposition 1893 in Chicago war Deutschland mit einer stattlichen Zahl Zuchthengste vertreten — Crouch kaufte gleich den ganzen Bestand auf —, und 1906 zählte die Farm über 1'000(!) Hengstfohlen.

«LaFayette Stock Farm postcard»
LaFayette Stock Farm, LaFayette/IN (big; courtesy of Harry)

Jepthay R. Crouch (1843-1927) war weltbekannter Importeur von Zuchthengsten und besass Anstalten in Lafayette/IN, Nashville/TN, North Ft. Worth/TX, Sacramento/CA, San José/CA, Sedalia/MO und London/ONT (CDN).

«Classic Cancel's cover»
LaFayette Stock Farm, 1901, cover
(courtesy of The Classic Cancel)

Nach Jephtays Tod führte George die Geschäfte weiter, doch gegen das moderne und zunehmend günstigere Zugpferd «Automobil» konnte er sich nicht behaupten: 1937 wurde die Farm verkauft und schliesslich liquidiert. Heute erinnern historische Dokumente, die 250 Meter lange Crouch St. in Lafayette, das Gebäude der Fairfield Township Crouch Elementary School und ein paar webpages an die «General Motors» der Pferde-Ära.

Quellen:
• Lyndon Irwin's Seiten zum Thema «Agricultural Events at the 1904 St. Louis World's Fair»
• online-Archiv der New York Times
• online-Archiv der Tippecanoe County Historical Association
• im Text verlinkte pages und eigene Unterlagen

Top




Als der Bär und ein paar Häuser baden gingen …
(08/03/31)

Heute sind es 1 Kilo Gold, 1 Reisegutschein, 1 Toaster oder 1 Pfund geräucherter Speck; der Gewinn einer Lotterie anno 1873: ein dreijähriger Schwarzbär.

J.C. Porters Hotel im kleinen Nest mit dem sinnreichen Namen «Eureka» — wo Roundout und Chestnut Creek einander fanden — diente als Kulisse dieser Samstagnachmittag-Veranstaltung; ein Dollar war Ok, und die Chance stand immerhin Eins zu Hundert. Ob dieser typisch nordamerikanische Meister Petz Ende Februar als Tanzbär angestellt wurde oder zu kulinarischen Ehren kam, konnte nicht ausfindig gemacht werden …

«Eureka NY lottery ticket»
Lotterielos, Eureka/NY 1873, 5.4 x 8.8 cm, Auflage 100 Ex.

Joseph C. Porter war nicht nur Hotelier, sondern auch Eurekas «first postmaster»; doch dann verliert sich seine Spur. Das Postbüro, eröffnet am 24. April 1869, schloss seinen Schalter am letzten Oktobertag 1942.

Fast genauso schwierig ist es, Verweise auf Eureka/NY zu finden: Nach den Flutkatastrophen von 1928 und 1938, wurden die Weiler Eureka, Lackawack und Montela 1954 zugunsten der Trinkwasserversorgung New Yorks geräumt und geflutet; sie liegen versunken im Rondout Reservoir des Delaware System-Wassereinzugsgebietes. Dieser Stausee hält auf knapp acht km² fast 190 Millionen m³ und liefert heute rd. 1.4 billion gallons oder 5.3 Milliarden Liter Trinkwasser jeden Tag für gegen 10 Millionen Menschen, knapp die Hälfte des Wasserbedarfs von New York City und vier upstate NY counties.

«Merriman Dam postcard»
der Merriman Dam im Süden bei Lackawack staut den
Rondout Creek zu einem fast zehn Kilometer langen See
(1954, courtesy of Covers and Cards)

Auf Grund des Gesetzeserlasses Nr. 724 von 1905 wurden in den Catskills 24 Dörfer und wertvolles Ackerland dem wachsenden Durst der Metropole geopfert. Sicherlich war es schade um jede Gemeinschaft (einige nennen es «The Taking» und meinen: «Nevertheless, construction of a reservoir for a growing city of millions seems on a par with the severity of taking people’s land from them, even if it does create generations of anger and resentment.»), und Einzelschicksale sind sowieso nie gerecht. Doch rückblickend war es anscheinend richtig: Im Internet finden sich zwar ein paar historische sites, gleichwohl würde niemand den damaligen Entscheid grundsätzlich kippen wollen; «e pluribus unum».

«Rondout Reservoir»
Rondout Reservoir (ca. 1960)

Vergleiche ich die menschlichen Wirbel — zur og. Trinkwasserversorgung New Yorks im letzten Jahrhundert gegenüber heute zur geplanten Erhöhung unserer Grimselsee-Staumauer bzw. zum chinesischen 3-Schluchten-Projekt am Yangtse —, dünkt mich die gewichtete Empörung (gekoppelt mit fehlender Phantasie oder gezüchteter Blindheit?) schlicht absurd; wahrscheinlich ist die triefende Logik der heute vereinbarten Priorisierung nur mittels ideologischer Brille erkennbar.

Quellen:
• Bericht über die lost towns in upstate NY des Portals BearSystems.Com
• geschichtlicher Rückblick von Town of Neversink
• The Chestnut Creek Stream Management Plan, Vol. I of II, Section 4, Chapter A, the Sullivan County Soil and Water Conservation District, 2004, published online by Catskill Streams
• im Text verlinkte pages und eigene Unterlagen

Top




«Holman’s Absurdity» oder Wenn Geldgier den Verstand lahmlegt
(08/03/28)

War es die Ungnade einer zu frühen Geburt? Die Investoren der Holmanschen Beschleunigungs-Lokomotive kannten Warren Buffetts Spruch noch nicht: «Investiere nur in eine Aktie, deren Geschäft du auch verstehst.»; sonst hätten sie leicht gemerkt, welchem Stuss sie Geld hinterher warfen.

«Holman interim certificate»
Holman Locomotive Speeding Truck Co., Sioux City/IA 1896, Interims-Schein
zu fünf Stammaktien der «so called Holman-Cadwell Roller-Gearing
Locomotive Association of Minneapolis/MN» (courtesy of Scripophily.com)

Zunächst schienen es Phantastereien eines Amateur-Ingenieurs zu sein — «… we supposed that it was the invention of some harmless crank who did not understand the elementary principles of mechanics …» und «A triple set of wheels under a locomotive would be proposed only by one who is densely ignorant of mechanics.», so Angus Sinclair, Herausgeber des Locomotive Engineering, 1897, und in Railway and Locomotive Engineering, 1907 —, doch mit der Zeit wurde klar: Es ist Betrug. Wie blind Anleger sein können, zeigt die Aktie der «Holman Locomotive Speeding Truck Co.»: Sie war der hübsch gestaltete Lockvogel eines geschickten Schwindels, als Aktiengesellschaft (gegründet) am 22. Januar 1896 in Sioux City, Bundesstaat Iowa.

«Holman stock»
Holman Locomotive Speeding Truck Co., 1896,
Zertifikat über eine Aktie zu USD 100, 9.2 x 21.9 cm,
signiert von William J. Holman (President) und S.L. White (Secretary)

Die Holmansche Erfindung (abgekupfert von der «Fontaine locomotive» 1881/82, lt. Alfred Bruce: «The design was fantastic and resulted in utter failure.») bewirkt weder eine stärkere Beschleunigung noch kann sie zu einer höheren Geschwindigkeit führen — im Gegenteil: Der zusätzliche Reibungsverlust im «Getriebe» mindert die übertragene Kraft, es ist schlicht ein physikalisches (und finanzielles) Verlustgeschäft. Das Urteil über diese technische Meisterleistung war und ist eindeutig: «This (…) thing (…) is a conventional steam locomotive mounted on not one but two sets of extra wheels or rollers.», «The word „locomotive“ scarcely seems appropriate.», «There also looks like a strong probability it would fall over when it tried to move.», klarer gesagt: «this piece of insanity», «(…) is a humbug.», «the latest monstrosity» und «The Holman Horror». Interessant der Wortwechsel zwischen Sinclair und Holmans Sohn in der New York Times vom 17. April 1897 (dritter Abschnitt) — war der Erfinder wirklich kriminell oder nur vernarrt?

«Holman's innovation»
Holmans irrwitzige Konstruktion

Erstaunlicherweise sind anscheinend doch zwei Holman-Lokomotiven gebaut worden: 1887 von Holman selbst in Philadelphia, zehn Jahre später dann das zweite Exemplar der «insane loco», diesmal in den Hallen der renommierten Baldwin Locomotive Works und dem staunenden Publikum auf einer geraden Teilstrecke der South Jersey Railroad Co. stolz vorgeführt (die NYT vom 15. Oktober 1897 berichtete darüber und orakelte eine Höchstgeschwindigkeit von fast 200 km/h!). Letztere Lok ist dann lt. Fachliteratur, gestutzt als konventionelle 4-4-0, bei der Kansas City and Northern Connecting RR eingesetzt worden, wo sie «hopefully was able to live down its shameful past».

«Holman locomotives»
Holman system locomotives

Doch, wie heisst es so trefflich? «Mit Speck fängt man Mäuse, mit Versprechungen Aktionäre.» — egal, wie hirnrissig-naiv oder betrügerisch-verbrämt die Beteuerung sein mag. In mehreren Tageszeitungen aus Philadelphia erschienen Anzeigen mit Angeboten, die Aktie der «Lokomotive der Zukunft» im Wert von USD 100 für nur USD 25 zu erwerben, «claiming that the invention was certain to come rapidly into general use and was destined to be the locomotive of the future» … Sinclairs abschliessendes Urteil: «(…) an investment which will be of the same real value as throwing gold coin over Niagara Falls.»

«Holman stock»
William J. Holmans Signatur als Präsident

Dahinter verbergen sich Einzelschicksale zwischen «Hoffnung einfach» und genauso üblicher «Gier retour»: «One painful case that was pushed to my attention will illustrate the danger of taking stock in things recommended by friends. Mrs. Marion French had sufficient money in United States bonds to produce her an income of $570 a year. Some idiotic friend advised her to invest in the Holman Locomotive Company's Stock, assuring her that she would more than double her income without risk. Our washerwoman never loses a chance to ask me when the Holman Locomotive Company will begin paying dividends.» (August Sinclair).

PS: Eine ausführliche Seite zum Thema Unusual Variations on The Steam Locomotive.
PPS: Lt. Anthony J. Bianculli, Trains and Technology: Locomotives (2001, University of Delaware Press. S. 190) baute Baldwin drei Holman Lokomotiven.

Top